Gender-Mainstreaming und Diversität bei der Konzeption von Orientierungssystemen und Bezeichnungen der Beschilderungen

Dejan Pavlovic

Gleichberechtigung und nun?

Diese Thematik beschäftig uns mittlerweile seit einigen Jahren, wobei es in den letzten Jahren eher nur beiläufig zur Sprache kam. In der Regel ist gerade bei den aktuellen Leitsystemen der Bereich Inklusion und Barrierefreiheit ein wichtiges Element, das vorrangig bei der Konzeption eine Rolle spielt. Im Grunde müssen Vorbereitungen getroffen werden, die bei Bedarf schnell umgesetzt werden können. Dagegen ist der Gender-Mainstream ein Punkt, der/die jetzt im Alltag nicht mehr ignoriert werden kann.

Barrierefreiheit ist ein Thema, das im FLS bereits integriert ist. Diversität ist ein Aspekt, der beim FLS mittlerweile auch umgesetzt wird.

Was ist Gender-Mainstreaming?

Gender-Mainstreaming soll laut der EU zu einer Geschlechtergleichstellung führen. Nicht nur die Gleichstellung von Mann und Frau, sonder jegliche Art von Geschlechtern. D.h. auch ein-binäre Geschlechter sollte in Betracht gezogen werden. Gender-Mainstreaming ist im Gegensatz zur Frauenpolitik eine präventive Maßnahme, die Ungleichbehandlungen der Geschlechter von vornherein in allen alltäglichen Bereichen verhindern soll. Hierbei wird nicht versucht, dass Andersgeschlechtliche mehr Rechte gegenüber dem „dominierenden“ Geschlecht erhalten, sondern hierbei wird versucht, dass schon im Vorfeld alle möglichen Geschlechterformen bereits über die Kommunikation gleich behandelt. Dies hat zur Folge, dass eine Art geschlechtsneutrale Kommunikation und Wahrnehmung statt finden muss.

Alle Versprechungen und Vorhaben klingen theoretisch plausibel und einfach. Nur ist es im wahren Leben eher selten der Fall.

Immer mal Inklusion

Gerade Inklusion ist bei Planungen an Schulen und öffentlichen Einrichtungen ein nicht zu unterschätzendes Thema. Kosten für die Umsetzung und Wissen beim Auftraggeber sind hier bei jedem Projekt schwer einzuschätzen. Natürlich gibt es mittlerweile Inklusionsbeauftragte, die Ihren Job sehr Ernst nehmen, sind aber in vielen technischen Fragen und Details eher überfordert, da der Umfang und die Wissensanforderungen im Bereich Inklusion nicht nur gesetzlich betrachtet werden müssen, sondern auch in der späteren technischen und praxistauglichen Umsetzung. D.h. ein/e Beauftragter*in, der/die sich um Barrierefreiheit kümmert, kennt oft die gesetzlichen Anforderungen. Aber ist es ihm/ihr wirklich bekannt, wie hoch eine Türklinke sein muss bzw. wie eine Glastür konstruiert ist, damit es den Anforderungen der Barrierefreiheit, des Brandschutzes und dem Alltag von Schüler*innen und Lehrer*innen entspricht? Oft werden solche Projekte nur von einem Blickwinkel betrachtet und umgesetzt. Denn, wenn man alle Facetten der Entscheidungsmöglichkeiten in Betracht zieht, kann ein Entschluss einige Zeit benötigen.

Entscheidungen werden definiert und getroffen, die dann in der Praxis für die meisten Nutzer*innen nicht alltagstauglich sind und eher das Miteinander erschweren. Frustrationen entstehen bei den Gruppen, die sich missverstanden fühlen und folglich dieses Vorhaben nicht weiter unterstützen. Wir sollten natürlich die Benachteiligten nicht ignorieren, sondern eher achtsam und behutsam damit umgehen. Alle müssen berücksichtigt und durch Kommunikation und auch Fachwissen überzeugt werden, um optimale Entscheidungen treffen zu können.

Lösungen sollten praktikabel sein und nicht der Mehrheit das Leben erschweren.

Die Diversität kommt mit Hilfe der Inklusion in Fahrt

Da wir gerade im Bereich der Orientierung auf dem Gelände und im Gebäude uns spezialisiert haben, erkennen wir die Veränderung in der gewünschten Kommunikation und Erscheinungsbild unseres Farbleitsystems. Unser Farbleitsystem wurde in 2009 entwickelt und mittlerweile bundesweit an Schulen und Krankenhäuser installiert. In erster Linie wurde das System für Krisensituationen entwickelt, um der Polizei und dem Rettungsdienst ein System zur Verfügung zu stellen, was das Auffinden der Räume innerhalb des Gebäudes erleichtert. Einer der Grundprinzipien sind die festgelegten Farbbereiche, eine logische Nummerierung und ein einheitliches Erscheinungsbild. Dies hat sich über die Jahre bewehrt und mittlerweile auch gerade im Bereich Barrierefreiheit weiter entwickelt. Mittlerweile wird auch die Diversität beim Farbleitsystem berücksichtigt, da auch hier immer mehr Projekte dies erfordern.

Natürlich fordert die Diversität und Inklusion die Bereitschaft klarere Strukturen und Orientierungen im Gebäude zu überdenken und auch Gruppen zu berücksichtigen, die man vorher nicht im Fokus hatte. Auch die Sprache und Symbole ändern sich, um allen gewünschten Anforderungen gerecht zu werden. Diversität ist bei Leitsystemen und bei der Konzeption in der Gebäudeplanung um einiges einfacher als die Planung von barrierefreien Elementen. Deswegen wird der Gender-Mainstream auch gerne bei den Planungen zum Teil vorgezogen. Denn Bezeichnungen für Räume und Gestaltung von Symbolen ist für die Planer viel einfacher, als die Bauvorschriften eines rollstuhlgerechten Eingangs zu planen.

Nicht die Masse an Informationen ist wichtig, sondern die richtige Dosierung.

Unzählige Diskussionen, was richtig und was falsch sein könnte

Durch die vielen Vorgaben und die Rücksichtnahme in den Bereichen Diversität und Gleichberechtigung wurde auch die Debatte gestartet, dass alles was vorher nicht der heutigen Norm entspricht demzufolge auch überdacht werden muss. Gerade alte Bezeichnungen, die sich in unserem Sprachgebrauch über Generationen selbstverständlich entwickelt haben, werden heute nicht mehr als „zeitgemäß“ empfunden und in den gemeinsamen Gesprächen oft damit begründet, dass man bestimmte Gruppen damit diskrimierenen bzw. etwas missverstanden werden könnte.

Klassische Diskussion ist die Bezeichnung „Lehrerzimmer“, dieses wurde immer so genannt. Heute würde man es „Lehrer*innenzimmer“ nennen. Dies ist aber gerade in Grundschulen eher schwierig zu vermitteln. Oft kommt dann die Lösung „Kollegium“, was zwar nicht optimal ist, aber in vielen Fällen als Kompromiss gerne genommen wird.

Hierbei gibt es unzählige Beispiele. Mittlerweile versuchen wir die Bezeichnungen so neutral wie möglich zu halten. Hausmeister wird zu Facility Management. Behindertentoilette wird zu barrierefreie Toilette. Schulleiter wird zur Schulleitung. Viele weitere Beispiele könnte man hierbei erwähnen.

Nicht nur Begrifflichkeiten ändern sich, sondern auch die Symboliken, welche wir verwenden. Gerade der Bereich Religionszimmer wird oft diskutiert, ob man ein Kreuz als Symbol verwenden sollte. Natürlich ist der übliche Kommentar, dass es mit einem „Erste-Hilfe-Zimmer“ verwechselt werden könnte. Aber dieser Kommentar dient eher zur Aufheiterung bei solchen Diskussionen. Unser Lösungsansatz ist oft ein Kerzensymbol, welches neutral aber doch treffend für viele Schulen ist. Nicht zu vergessen sind die Toiletten. Das Toilettensymbol zeigt oft das zugehörige Geschlecht, was aber bei Diversität natürlich anders betrachtet wird. Das gängige Symbol ist beide Geschlechter (Männlein, Weiblein) anzuzeigen, was ein gängiger Kompromiss ist. Nicht selten wird aber auch eine Figur mit beiden Geschlechtsmerkmalen verwendet. Auch haben wir Fälle, die auf witzige Weise z.B. einen Alien als Symbol verwendet, was andeuten soll, dass man „anders“ ist. Jeder dieser Vorschläge kann man auf seine eigene Weise betrachten. Es gibt keine richtige oder falsche Lösung, oft sollte bei solchen Entscheidungen die Akzeptanz der Diversität mit einfließen. Nur wenn in dem Projekt diese Thematik als selbstverständlich betrachtet wird, führt dies auch zu einem befriedigenden Ergebnis.

Diversität in der Barrierefreiheit

Natürlich zeigen sich auch Grenzen beim Gender-Mainstream. Wenn wir z.B. mit taktilen Elementen arbeiten und auch Brailleschriften einsetzen, ist es schwierig genderkonform zu arbeiten. Wörter werden zu lang oder unspezifisch. Das „*“ ist gerade bei Blindenschriften eher problematisch. Auch das „umschreiben“ der Begrifflichkeiten erschwert die Umsetzung.

Auch muss man die „vereinfachte“ Sprache berücksichtigen. Hierbei werden die genderspezifischen Begrifflichkeiten noch nicht übernommen. Generell verkomplizieren diese Vorgaben die Inklusion, was nicht sein sollte. Man muss auch bedenken, dass die Brailleschrift nur in Großbuchstaben gelesen wird und Sonderzeichen zum Teil mehrdeutig sein können, was dem Blinden natürlich das Erkennen des Begriffes erschwert.

Wenn es dem einen hilft, kann es dem anderen schaden.

Gender-Mainstream in der Zukunft

Man erkennt, dass sich die Gleichstellung der Geschlechter und alle anderen Verschiedenheiten, von Religion, Lebenseinstellung über Gesundheit bis zur Hautfarbe immer mehr in unserem Alltag verfestigt. Auch sind die Schulen darauf sensibilisiert und setzen viele Vorgaben um. Die reine technische Barrierefreiheit, was auch ein Teil der Inklusion und somit der Gleichstellung an Schulen ist, hat es dagegen schwerer, da es in der Umsetzung und bei den Kosten doch einiges mehr benötigt.

Wir sammeln unsere Erfahrungen und setzen diese sofern diese auch praktikabel und sinnvoll sind um. In naher Zukunft werden wir auch mit dem Diversity Management bzw. Management der Vielfalt zusammen arbeiten, sofern die öffentlichen Schulen und Krankenhäuser dies in der Organisationsstruktur übernehmen.

Generell ist es beim Leitsystem mit den Vorgaben nicht komplizierter geworden. Es ist wieder eine weitere Komponente, die wir in Zukunft berücksichtigen werden und bei Bedarf beraten, was sinnvoll und was unsinnig ist. Unser Orienteirungssystem wird somit vielfältiger, wie auch die Gesellschaft in der wir leben.

Über Dejan Pavlovic Designer, Media Consultant, Business Angel
Seit 1994 entwickele ich als Designer für Unternehmen nach dem Prinzip der “10 Heuristiken” Userinterfaces und Webseiten. Durch Zufall bin ich durch die Krisenfälle in Deutschland seit 2009 mit dem Thematik der Leitsysteme und Orientierung in Berührung gekommen. Entwickelt wurde dadurch das Farbleitsystem (FLS). Mittlerweile wird es bundesweit an Schulen und öffentlichen Gebäuden von uns realisiert. Gerne tausche ich mich mit Planern, Betroffenen, Kritikern oder Befürwortern aus und erkläre, was ich mir während der Entwicklung gedacht habe. Leider gibt es einige Menschen, die gerne ohne mein Wissen über die Vor- und Nachteile eines einheitlichen Systems urteilen und einen Dialog mit mir meiden, was ich sehr schade finde. Auch kann es sein, dass ich mit manchen Thesen am Ende nicht immer richtig lag oder auch manches aus meinem Blickwinkel anders interpretiere. Das ist menschlich und im Schaffensprozess natürlich. Daher freue ich mich über Gegendarstellungen und andere Erfahrungen. Ich lasse mich gerne überzeugen und ergänze dann das Gesamtbild.
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